Pax Minoica

Generell wird angenommen, dass es wenig interne bewaffnete Konflikte im minoischen Kreta gegeben hat. In der Vergangenheit wurde dieser Zustand als “Pax Minoica” (ein Begriff von Arthur Evans)  bekannt.
Wie so vieles im minoischen Kreta, es ist schwer, anhand der Belege offensichtliche Schlüsse zu ziehen. Manchmal hat man das Gefühl, dass diese Zivilisation ähnlich einem Rohrschach-Tintenklecks-Test ist, insofern als Interpretationen oftmals mehr den Interpreten als die Zivilisation selbst reflektieren.
Viele Forscher argumentieren, dass es wenig Evidenz für Minoische Befestigungsanlagen gibt. Jedoch Stylianos Alexiou weist, darauf hin (Kretologia 8), dass es eine Anzahl von Stätten, speziell die früh- und mittelminoischen wie Aghia Photia, gibt, die auf Gipfeln errichtet wurden, oder anderweitig befestigt waren. Wie Lucia Nixon sagt: ..”wir könnten auch über-beeinflußt sein durch das Fehlen von dessen, was wir als richtige Befestigung ansehen um den archäologischen Befund richtig zu deuten. Wie bei anderen Beispielen, könnte es sein, dass wir nicht an den richtigen Stellen für einen Beleg suchen, und dadurch können wir nicht zu einer korrekten Deutung über die Minoer und ihrer Fähigkeit, Kriege zu vermeiden, gelangen”.   (“Changing Views of Minoan Society,” in Minoan Society ed L. Nixon).

Chester Starr argumentiert in “Minoan Flower Lovers” (Hagg-Marinatos eds. Minoan Thalassocracy) dass die Chinesen der Shang Dynastie und die Maya ebenfalls unbefestigte Zentren hatten und dennoch an Grenzkriegen beteiligt waren,  das alleine ist noch nicht ausreichend, um definitiv zu belegen, dass die Minoer eine friedliche Zivilisation, ohne geschichtliche Parallelen war.

1998 jedoch,  als die minoischen Archäologen zu einer Konferenz in Belgien zusammentrafen, um die Möglichkeit zu erörtern, dass die Idee einer “Pax Minoica” überholt sei,  fiel der Beweis für minoische Kriege spärlich aus.

Der Archäologe Jan Driessen, zum Beispiel, sagte, dass die Minoer oft “Waffen” in ihrer Kunst darstellten, aber nur in rituellem Kontext, und dass “Die Errichtung befestigter Anlagen oft angenommen wird, um die Androhung eines Krieges zu reflektieren, aber solche befestigten Zentren waren multifunktionell; sie waren also oft die Verkörperung oder der materielle Ausdruck, einen zentralen Orte innerhalb eines Territoriums zu kennzeichnen, gleichzeitig als Monumente, um die zusammenwachsende Elite zu glorifizieren. (m.E. vergleichbar mit den Geschlechtertürmen in Italien)

Andererseits, stellte Stella Chryssoulaki’s Arbeit über die kleinen Aussenposten, die “Guard-houses” im Osten Kretas, mögliche Elemente eines Verteidigungs-Systems vor. Behauptungen sie hätten keine Waffen produziert,  seien falsch; Typ A der minoischen Schwerter (wie in den Palästen von Malis und Makros gefunden) waren die feinsten in der gesamten Ägäis (See Sanders, AJA 65, 67, Hoeckmann, JRGZM 27, or Rehak and Younger, AJA 102).

Betrachtet man die minoischen Waffen hingegen, bemerkte Keith Branigan, dass 95% sogenannter minoischer Waffen über eine Schäftung (Griffe) verfügten, was ihren Gebrauch als Waffe ausschließe. (Branigan, 1999) Die kürzlich durchgeführten experimentellen Tests mit exakten Repliken haben hingegen bewiesen, dass es mit diesen Waffen sehr wohl möglich war, Fleisch vom Knochen zu schneiden (und die Knochenoberfläche zu ritzen) ohne dass die Waffe selbst beschädigt wurde.
Der Archäologe Paul Rehak behauptet, dass die minoischen Achterschilder nicht zum Kämpfen und nicht einmal für die Jagd genutzt wurden, da sie viel zu unhandlich und schwerfällig waren (Rehak, 1999). Und schlussendlich faßt die Archäologin Cheryl Floyd zusammen, dass die minoischen “Waffen” lediglich Werkzeuge für profanen Einsatz; wie Fleischaufbereitung, benutzt wurden. Obwohl diese Interpretation höchst fragwürdig bleiben muss, nachdem es keine Parallelen in historischen oder ethnografischen Aufzeichnungen von 1 Meter langen Schwertern und langen Stoßkeilen, die als kulinarische Gerätschaften genutzt wurden,  gibt.

Über die minoische Kriegsführung generell, kommt Branigan zum Schluss, dass “Die die Anzahl der Waffen, die eindrucksvollen Befestigungen, und die aggressiv aussehenden Langschiffe auf eine Zeit intensiver Feindschaften hindeuten. Aber bei näherer Betrachtung,  gibt es Gründe zur Überlegung, dass alle 3 Schlüsselelemente mehr mit dem Ausdruck für Status,  der Zurschaustellung und Mode verknüpft sind als mit Aggression…. Kriegsführung wie in der südlichen Ägäis während der frühen Bronzezeit war entweder personengebunden und vielleicht ritualisiert (auf Kreta) oder in kleinem Rahmen, oder temporär oder essentiell eine ökonomische Angelegenheit (auf den Kykladen und der Argolis/Attica).”(1999, p. 92)

Die Archäologin Olga Krzyszkowska stimmt darin überein: “Die nüchterne Tatsache ist, dass wir für die prähistorische Ägäis keinen [sic] direkten Beweis für Krieg und Kriegswesen per se [sic] haben”. (Krzyszkowska, 1999).

Darüberhinaus, exisitiert kein Beleg für eine minoische Armee, oder eine minoische Dominanz ausserhalb Kretas. Vereinzelte Anzeichen für Kriegswesen erscheinen in der minoischen Kunst. “Obwohl ein paar Archäologen in einigen minoischen Kunstwerken Kriegsszenen erkennen wollen, interpretieren  andere  wiederum diese Szenen als Festivitäten, heilige Tänze oder sportliche Veranstaltungen” (Studebaker, 2004, p. 27). Obwohl mit Speeren und Schildern bewaffnete Krieger, die durch Schwerter im Hals niedergestochen werden, wiederum nicht gänzlich zur “festlichen”  Interpretation passen dürften.

Obwohl es am griechischen Festland zur Zeit der Schachtgräber in Mykene, nur geringe Belege für große Befestigungen (die berühmten Zitadellen datieren nach der Zerstörung fast aller neupalastzeitlichen Ausgrabungen) gibt , ist die ständige Kriegsbereitschaft anderer zeitgleicher Kulturen – z.B. die Ägypter und Hethiter  –  gut dokumentiert.

Dieses viktorianische Bild von Arthur Evans wurde von interessierten Gruppen mit wenig kritischem Verständnis für den materiellen Befund mit dem sie zu tun hatten, bereitwillig aufgenommen, und diese präjudiziende Absicht wird fortgeführt, um einen wichtigen Aspekt einer mächtigen Zivilisation durch grundsätzliche Selbstsucht zu beschwichtigen. Es ist bedauernswert, wie die Vision des “minoischen Friedens” in der modernen Welt für heutige Zwecke ausgebeutet wird, die essentiell der minoischen Zivilisation das Recht auf eine dynamische Forschung strittig macht, und antiquierte Denkmuster aufrechterhält mit dem Nachteil,  die menschliche Realität dieser großen Zivilisation zu erkennen. In komplexen Zivilisationen gibt es:  Mehrdeutigkeit, Widersprüche und Anomalien und wir sollten deshalb vorsichtig sein, dogmatisch irgendeinen Aspekt deren Welt abzulehnen, und deshalb dürfen die Argumente für die Rolle im Krieg oder Frieden innerhalb der minoischen Gesellschaft als gegenseitig widersprüchlich betrachtet werden.
Quelle: wiki

Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer – eine dicke Mauer noch keine Befestigung – ein Schwert keinen Krieg.

Ich denke, es wäre für unsere heutige Gesellschaft weitaus gesünder und eloquenter, wenn wir täglich nur einige Bilder der minoischen Kultur betrachten und wirken lassen, anstatt uns pausenlos den Bildern von Krieg, Tod, Unterdrückung, atomarer Bedrohung, die uns die Medien mittlerweile im Sekundentakt liefern, auszuliefern.

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