Thalassokratie

Eine Thalassokratie (vom altgriech. θάλασσα, thálassa = „Meer“ und κρατία, kratía = „Herrschaft“) ist ein maritim-kommerziell ausgerichteter Staat oder eine Vereinigung von Staaten, die über eine auf der Seemacht beruhende Überlegenheit zur Sicherung seines Handelsmonopols sowie über eine leistungsfähige Wirtschaft und Handelsflotte verfügt. Der operative Einsatz der Seekriegsmittel zur Erlangung der Seeherrschaft setzt die zentrale Lenkung voraus. Thalassokratien haben seltener Wert darauf gelegt, das Landesinnere zu beherrschen.

Frühestes historisches Zeugnis ist Herodots Behauptung, dass Kreta unter Minos die „Thalassokratie“ über die Ägäis und das östliche Mittelmeer ausgeübt habe. Auch Thukydides beschreibt eine Thalassokratie des Minos. Daraus wurde eine minoische Thalassokratie abgeleitet, die aber inzwischen von den meisten Forschern angezweifelt wird.
Eusebius von Caesarea nennt in seinem Werk Chronikon 17 verschiedene Völker, die zu dem einen oder anderen Zeitpunkt eine solche Vorherrschaft ausgeübt hätten, überwiegend Inselvölker wie Zyprioten oder Rhodier. Sowohl Mykener (ab etwa 1300 v. Chr.) als auch Phönizier (ab etwa 900 v. Chr.) und Punier (ab etwa 600 v. Chr.), vermutlich auch Etrusker haben auf Seeherrschaft ausgerichtete Handelsimperien errichtet. Athen war eine Thalassokratie der Antike während des 1. und 2. Attischen Seebundes ab etwa 480 v. Chr.

A.Bernard Knapp’s Artikel “Thalassocracies in Bronze Age eastern
Mediterranean trade: making and breaking a myth,” World Archaeology 24
(1993) 338-347) sagt wenig über das minoische Kreta aus, nachdem er sich schwerpunktmäßig  auf die Bedingungen in Zypern und die Levante konzentriert.  Knapp behauptet zumindest, dass im östlichen mediterranen Raum viele Flotten aktiv waren: Ägypten, einige levantinische Staaten, Zypern, Sizilien, das mykenische Griechenland und das minoische Kreta. Einige Staaten produzierten Rohstoffe, Lebensmittel und Fertigprodukte für Handel in einem internationalen Austauschsystem, das unter dem Begriff “bedingte Ko-Existenz” betitelt ist.
In diesem Fall kann eine Seeherrschaft nicht existiert haben.

In Studien, die 1990 und 1991 veröffentlicht wurden, etablierte Malcom Wiener die Tatsache, dass das alt- und neupalastzeitliche Kreta eine wichtige Seemacht war, welche “regierte” und “Niederlassungen” im östlichen Mittelmeerraum begründete, allen voran Milet. Was wir aber nicht mit Sicherheit sagen können, ist wie dominant die kretische Seemacht während dieser Periode war. Andererseits, war die imperiale Macht dieser Tage sicherlich das pharaonische Ägypten. Man denkt nicht zuallererst an Ägypten als Seemacht; aber wir lernen mehr und mehr über die Bedeutung der ägyptischen Seemacht. (Shelley Wachsmann, Seagoing Ships & Seamanship in the Bronze Age Levant, 1998, pp. 9-60).

Überlegungen zur minoischen Thalassokratie sind eng mit Ideen über die politische Organisation des neupalastzeitlichen Kretas verbunden: war die Insel unter knossischer Hegemonie geeint, oder existierte eine Anzahl unabhängiger Provinzen,  jede mit ihrem eigenen Palast-Zentrum?  Wieder einmal befinden wir uns inmitten einer Kontroverse und konfliktreicher Interpretationen, mit Fragen, die minoische Archäologen noch immer versuchen zu beantworten. Die derzeitig vorgeschlagenen Antworten tendieren auf Basis der Verwendung von Tonsiegeln, als Teil des administrativen Systems, welches zu einem gewissen Grad bereits in der frühminoischen Periode, zwar nur als eingeschriebene Siegel bestanden, jedoch in Verwendung erst in MM IB war, was mit der Gründung der ersten Paläste zusammenfällt. (J. Weingarten and C. F. Macdonald, in Studi in Onore di Enrica Fiandra, ed. M. Perna, Naples 2005, pp. 393-404)

Quelle: bryn-mawr-classical-review

Hier ein interessanter Artikel von Malcom Wiener “Isles of Crete. The Minoan Thalassocracy revisited”: [pdf]

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